2023 Pflanze des Monats März
Die Küchenschelle
Früh im Jahr, wenn die Natur fast noch im Winterschlaf ist, lassen sich mit etwas Glück auf den kargen Wacholderheiden der Schwäbischen Alb die wunderschönen, seidig behaarten Blüten der Küchenschelle finden, deren strahlend gelbe Staubgefäße einen reizvollen Kontrast zu den kräftig violetten Blütenblättern bilden. Leider nur noch selten vorkommend fühlt sich die Pflanze aus der Familie der Hahnenfußgewächse in West- und Mitteleuropa auf durchlässigen und mageren Kalkböden wohl – dort, wo der Mensch nicht durch intensive Bewirtschaftung und Düngung eingegriffen hat.
Wärme und Licht liebend, zurückhaltend in ihren Nährstoffansprüchen erfreut uns die Küchenschelle nicht nur durch ihre schöne Blüte. Auch ihre Fruchtstände sind etwas Besonderes. Zottelig wilde, silbrig braune Wollknäule, im Volksmund auch „wilder Mann“ genannt bleiben nach der Blüte im März bis in den Mai hinein ein echter „Hingucker“. So hat die Küchenschelle geschickte Strategien entwickelt, um sich fortzupflanzen: die Früchte, kleine aus den zahlreichen Fruchtknoten gebildete Nüsschen, denen die Griffelreste wie ein Federschweif anhaften, werden nicht nur über den Wind verbreitet. Sie haften sich auch gerne im Fell vorbeistreifender Tiere fest oder können sich als „Bodenkriecher“ selbst aktiv fortbewegen. Abhängig von der Luftfeuchtigkeit krümmen und strecken sich die feinen Gebilde und können sich auf diese Weise ein gutes Stück von der Mutterpflanze entfernen.
Wie alle Hahnenfußgewächse enthält die Küchenschelle das giftige Protoanemonin, aufgrund des scharf-brennenden Geschmacks und seiner (schleim-)hautreizenden Eigenschaften auch Pulsatillakampfer genannt. Es baut sich zwar beim Trocken ab, doch schränkt es die medizinische Verwendung der Pflanze stark ein.
In der Antike hat der griechische Arzt Hippokrates Pulsatilla eingesetzt, um die Menstruationsblutung in Fluss zu bringen, Hodenentzündungen zu behandeln oder auch hysterische Gemüter zu besänftigen. Heute jedoch wird die Pflanze nur homöopathisch genutzt.
Hier jedoch gilt sie als „Polychrest“, als Heilmittel mit sehr weit reichenden Tugenden.
Auf körperlicher Ebene lassen sich unter Verwendung niedriger Potenzen beispielsweise Störungen wie Lid- und Bindehautentzündung, Mittelohrentzündung, Zyklusprobleme oder rheumatische Beschwerden, die sich an oft wechselnden Stellen zeigen, angehen.
Auch Verdauungsprobleme – hier ist eine Unverträglichkeit von Fett charakteristisch – lohnen einen Therapieversuch. Seelische Leiden werden vom erfahrenen Therapeuten mit höheren Potenzen behandelt. Die Barlach-Apotheke hält verschiedene C- und D- Potenzen bereit.
Nach der homöopathischen Konstitutionslehre zeigt der Patient, der „Pulsatilla-Typ“, ein ganz bestimmtes Wesen. Er ist sanft, liebenswürdig, nachgiebig, ja, häufig finden sich melancholische Züge. Freudige Begeisterung und Tatendrang können abwechseln mit tiefer Verzagtheit.
Obwohl eher ein fröstelnder Charakter sucht der Patient frische Luft zur Besserung seiner Beschwerden. Typisch ist die Wechselhaftigkeit aller Beschwerden. Gemäß der Signaturenlehre zeigen sich diese Gegensätze auch in der Pflanze: bei schönem Wetter ihre strahlende Blüte aufrecht der Sonne entgegenstreckend, schließt die Küchenschelle sie bei Kälte und Regen und „lässt sich hängen“. Auch die Zartheit der feinen Blüte bildet einen gewissen Kontrast zur Wildheit der Fruchtstände.
Aufgrund ihrer Giftigkeit findet die Küchenschelle in der Küche keine Verwendung. Küh-chen, kleine Kuh und Schelle (Glocke) und auch Pulsatilla (pulsare- schlagen, läuten) nehmen Bezug auf die Blütenform, die im nickenden Zustand an eine Kuhglocke erinnert. „Pelzanemone“ oder „Wolfspfote“, „Wolfsblume“ sind weitere volkstümliche Namen, die die zarte Behaarung der Küchenschelle ansprechen. Diese dient übrigens nicht, wie man denken könnte, als Kälteschutz für den Frühblüher, sondern soll die Pflanze vor übermäßiger Verdunstung schützen.
Die Bewunderung für die Küchenschelle ist noch relativ neu. Unseren Vorfahren war Pulsatilla eher unheimlich. Das Auftreten der zotteligen Fruchtstände war gefürchtet, sollte es doch anzeigen, dass hier eine Hexe von Jägern zur Strecke gebracht worden war. Die Pflanze ins Haus oder Garten zu holen, sollte unterbleiben, da sonst noch ungeschlüpfte Gänseküken in ihren Eiern abzusterben drohten. Schön, dass wir heute uneingeschränkte Freude empfinden, wenn wir die so selten gewordene und daher unter strengem Naturschutz stehende Pflanze bei einem Frühlingsspaziergang entdecken!